Die meisten Menschen kennen das: Wenn sie etwas lesen, nehmen sie die Buchstaben schwarz auf weiß wahr – über den Sehsinn. Wenn sie einem Gespräch oder einem Vortrag zuhören oder einer Melodie lauschen, erfassen sie die tatsächlich gesprochenen Worte oder die Melodie – über den Gehörsinn.

Aber es gibt auch Menschen, da reagiert nicht nur eine Sinnesempfindung. Bei ihnen haben die Töne der Musik unterschiedliche Farben und Formen oder Buchstaben und Zahlen lassen sich erfühlen. Menschen mit dieser gekoppelten Wahrnehmung werden „Synästhetiker“ genannt.

Synästhesie – Was ist das?

Der seit dem 19. Jahrhundert genutzte Begriff Synästhesie setzt sich aus den altgriechischen Worten „syn“ (zusammen) und „aisthesis“ (Empfinden) zusammen und bedeutet soviel wie „Vermischung der Sinne“. Das heißt, bei der Stimulation eines Sinns – etwa des Hörens – wird zusätzlich eine weitere Sinneswahrnehmung ausgelöst – etwa das Sehen von Farben oder geometrischen Figuren.

Synästhetiker verknüpfen zwei oder mehrere Sinnesreize zu vermeintlich unpassenden Empfindungen. Sie schmecken etwa Tonintervalle, riechen Zahlen oder sehen Buchstaben in einer bestimmten Farbe.

Etwa vier Prozent aller Menschen haben eine der ca. 150 Formen der Synästhesie. Die häufigste beschriebene Form ist die Graphem-Farb-Synästhesie. Hier werden Buchstaben oder Ziffern im Gehirn mit Farben verknüpft. Die zusätzlich wahrgenommenen Farben bleiben übrigens das ganze Leben über konstant – eine rote Acht wird also nicht plötzlich gelb.

Eine besondere Fähigkeit

Synästhesie ist keine Störung und schon gar keine Krankheit. Neurowissenschaftler sprechen von einer „physiologischen Normvariante“, also einer Abweichung vom Durchschnittsempfinden, die aber nicht krankhaft ist.
Sie gehen davon aus, dass der Synästhesie eine besonders enge Verknüpfung und ausgeprägte Zusammenarbeit von Hirnarealen zugrunde liegen. Prof. Dr. Peter Weiss-Blankenhorn vom Forschungszentrum Jülich in Nordrhein-Westfalen fasst es so zusammen: „Synästhesie ist eine genetische Disposition im gesunden Menschen, die dazu führt, dass Sinneseindrücke, die normalerweise nicht miteinander verknüpft sind, miteinander verknüpft werden“. Diese gekoppelte Wahrnehmung wird oft als “ Hyperconnection“ oder „Hyperbinding“ genannt und führen zu einer überdurchschnittlich ausgeprägten Verbindung der Hirnareale, die für die entsprechenden Reize zuständig sind. Gleichzeitig bekommen sie den Befehl, eng zusammenzuarbeiten. Im Gehirn liegen z. B. das Farbareal und das Buchstabenareal dicht beieinander. In Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Areale für das Erkennen von Buchstaben und die Farbverarbeitung bei Synästhetikern stärker verknüpft waren als bei Kontrollpersonen.

Synästhesie im Alltag

Die meisten Synästhetiker sehen Worte und Zahlen in Farbe. Für manche von ihnen erscheint der zusätzliche Sinneseindruck in ihrem Inneren, für andere ist es, als hätten sie einen Monitor vor Augen. Wieder andere erfahren die zusätzliche Information quasi „um sich herum“, als seien sie darin eingetaucht. Für uns andere ist diese synästhetische Wahrnehmung kaum nachvollziehbar. Es ist fast so, als wollte man einem blinden Menschen erklären, wie grün das Gras ist oder wie blau das Meer.

Im Alltag kann die Synästhesie Vorteile schaffen, denn die doppelte Wahrnehmung kann zum Beispiel für Gedächtnisstrategien genutzt werden. Dank der wahrgenommenen Farben lassen sich die in Buchstaben oder Zahlen gespeicherten Informationen besser merken und leichter abrufen.

 

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